Stadtschreiberin Julia Kulewatz berät Poetry Slam AG

Projekt mit Neu-Ulms Stadtschreiberin Julia Kulewatz

Egal ob mit ihren Kurzgeschichtenbänden oder mit dem vor Kurzem zweiten erschienenen Lyrikband „counting magpies“ – wer Julia Kulewatz‘ Texte liest, versteht, welches Glück die Stadt Neu-Ulm hat, sie ihre Stadtschreiberin nennen zu dürfen. Begeistert stimmte Julia Kulewatz unserer Anfrage zu, gemeinsam mit unserer Poetry Slam AG einen Text entstehen zu lassen, der ihre und unsere Handschrift trägt. Nachdem sie den Fragen unserer Schülerinnen und Schülern Rede und Antwort gestanden hatte, verriet sie den Jugendlichen zahlreiche Tipps und Tricks, die sie sonst nur mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern an ihrem Seminar zum Kreativen Schreiben an der Universität Erfurt teilt. Im Anschluss daran tüftelten die Stadtschreiberin und die AG daran, ihren Text zum Thema „Du“ zu entwerfen: Während jeder bzw. jede sich individuell für einen Abschnitt bzw. eine Strophe des Textes verantwortlich zeichnete, kreierten am Ende alle gemeinsam einen griffigen Refrain und diskutierten über einen geeigneten Titel für ihr Werk. Das Ergebnis kann an der Eingangstür der Bibliothek bewundert werden. Seminare zum Thema „Schreibfluss“, die sich vor allem an Jugendliche richten, bietet sie aktuell an der Volkshochschule in Ulm an. Sie selbst sagt über sich: „Es ist [mir] wichtig, der Fantasie [meiner] Leser (Welten-)Raum zu geben, um gemeinsam das Höchste und das Tiefste zu berühren.“ Unsere AG freut sich bereits darauf, mit ihr gemeinsam diese Erfahrung machen zu können. Wer noch mehr über Julia Kulewatz erfahren möchte, kann den Stadtschreiberblog unter nachfolgender Adresse besuchen: www.wir-leben-neu.de/stadtschreiberin

Marcel Janczik

 


Hier Textpassagen aus Kulewatz' Anthologie "Vom lustvollen Seufzer des Sudankäfers", Leipzig 2017:

YULIAH #1

"We loved each other in lily fields, before we understood the meaning of a single one."

Eine junge Frau steht hoffend am Rande einer sich entfernenden Metropole. Lähmende Hitze flimmert spät durch den Tag, verzeichnet Konturen fallender Blätter, nimmt ihren gezackten Rändern die Boshaftigkeit im Flug. Der Baum spendet nur Schatten, keinen Trost, er ist schon zu lange beständiges Wahrzeichen eines täglichen Wartens:
Um dir nah zu sein, lebe ich in falscher Sprache, spreche, denke und singe meine Muttersprache nicht, die in mir gewachsen ist über viele Jahre. Ich habe mein Wachsen beschnitten, ihm das Grünen verwehrt, das Blühen streng untersagt, um mich im pulsierenden Rußgrau deiner Heimatstadt mit dir sicher zu fühlen.

© Text von Julia Kulewatz, in: "Vom lustvollen Seufzer des Sudankäfers", Leipzig 2017.


YULIAH #2

Die Stadt, in der wir gelebt hätten, liegt nun jenseitig, in einem Schlaf ohne Erwachen, will nicht vergehen, kann nicht gerichtet werden. Sie ist ein Ort des Verblassens. Obwohl ihre scharfkantigen Umrisse im Hintersinn meines Sehens mahnend lebendig thronen, kann ich sie noch immer nicht benennen, nicht verfluchen, ihr vielleicht eine andere Farbe geben. So wie Erinnerung sich im Schmerz verselbständigt, das Da- und Dort-Sein kopiert oder halbiert.
Diese Stadt sind und waren wir:
Sie schirmt ihr Gesicht mit der nach innen gerichteten Handfläche schützend ab, lässt für einen einsamen Moment die Augenlider niedersinken. Als sie aufblickt, ist er auf dem Weg, sie kann ihn von weit her kommen sehen.

© Text von Julia Kulewatz, in: "Vom lustvollen Seufzer des Sudankäfers", Leipzig 2017.


YULIAH #3

Die Stadt belauert und bewacht ihre Insassen. Sirenen sind ihr pfeifendes Ausatmen. Sie stiert durch Abermillionen quadratisch blinde Pupillen ohne Sinn und Verstand, vervielfältigt Verirrte, macht Irren unmenschlich. Dort bewohnt man exakte Grau-Geometrie, wird fleischiger Baustein. Falsch gesetzt entschläft man zwischen Kanten, solange, bis das Mensch-Sein vergeht und das Fleisch-Werden kommt. - Sie war eine Entkommene, er ein noch immer Entfliehender.

© Text von Julia Kulewatz, in: "Vom lustvollen Seufzer des Sudankäfers", Leipzig 2017.